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Verfolgung / Rascheln im Rosenbeet

13. Oktober 1737, abends.

Eustache Petit folgte dem Chevalier ohne Hast und verschmolz dabei geschmeidig mit seiner Umgebung. Das war um diese Uhrzeit in Paris nicht weiter schwierig, denn sowohl die hereinbrechende Dunkelheit als auch die hohe Betriebsamkeit halfen ihm. Außerdem hatte er eine natürliche Begabung für die Verfolgung von Personen, wie er inzwischen sogar selbst zu glauben bereit war. Überhaupt erlaubte Eustache Petit sich dieser Tage auch gelegentlich mal stolz auf sich zu sein und davon auszugehen, dass er durchaus sinnvolle Dinge zuwege brachte. Das war früher nicht so gewesen. Als er als Eleve de Police angefangen hatte, war er unsicher, linkisch und schüchtern gewesen – lauter Eigenschaften, die sein erster Vorgesetzter bei der Polizei durch fortwährende Schmähungen gefördert hatte, genauso wie zuvor sein Vater. Aber seit Eustache Petit der Sondereinheit der Polizei unter Michel Michaud und Jean-Marc Liévre angehörte, hatten sich die Dinge geändert. Eine Weile hatte es Bestrebungen gegeben, die Sondereinheit mit mehr Personal zu führen. Doch dieser Entwurf hatte sich nicht bewährt und die beiden zusätzlichen Commissaires und Eleves waren wieder anderen Abteilungen zugeschoben worden. Außer Eustache. Ihn, und nur ihn hatten Michaud und Liévre ausdrücklich behalten wollen und dies beim Lieutenant Géneràl persönlich auch durchgesetzt! Diese Tatsache hatte Eustaches gesamtes Leben verändert. Seitdem glaubte er an sich.
Sie hatten rasch herausgefunden, dass Eustache am besten im Stillen arbeitete. Er war ein akribischer Ermittler und absolut unschlagbar bei der Beschattung von Verdächtigen. Und so folgte er nun auch dem Chevalier ebenso unauffällig wie unerbittlich, während der alles tat, damit genau das nicht passierte. Wie geplant war Jean-Marc fast sofort nach Lagrange ebenfalls auf der Straße erschienen und hatte dafür gesorgt, dass der ihn schon bald bemerkte. Lagrange hatte daraufhin einige plumpe Ablenkungsmanöver ersonnen, war unvermutet in Gassen abgebogen, hatte sich hinter Karren verborgen und dergleichen mehr – und Jean-Marc hatte sich nach einigen Malen zurückfallen lassen und war aus Lagranges Sichtfeld verschwunden, sodass der Chevalier annehmen musste, nun ohne Verfolger zu sein. Das machte es Eustache umso leichter, sich an seine Fersen zu heften. Und Jean-Marc wiederum konnte nun in sicherer Entfernung Eustache folgen, zumal der ihm an schwierigen Ecken mit einfachen Kreidezeichen Hinweise hinterließ, wo es weiterging. Dieses System hatten sie bereits vor etlichen Jahren ersonnen und es funktionierte wunderbar.
Zunächst sah die Verfolgung allerdings eher unergiebig aus: Lagrange ging nach etlichen Schnörkeln einfach zu sich nach Hause. Er hätte sich nicht so viel Mühe gegeben, etwaiger Verfolger abzuhängen, würde er vorhaben, dort zu bleiben – da war Eustache sich ganz sicher. Und richtig: schon nach einer Viertelstunde kam er wieder heraus und es war gut, dass Jean-Marc vollkommen außer Sicht geblieben war, denn Lagrange prüfte lange, ob die Luft auch wirklich rein war. Er hatte sich umgezogen, trug nun die unauffällige Straßenkleidung eines einfachen Bürgers unter einem bräunlichen Mantel, der ihn in der Dunkelheit fast unsichtbar machte. Wie gut, dass der erste Polizeichef von Paris, Gabriel Nicolas de la Reynie, seinerzeit die Straßen von Paris durch das Aufstellen von Straßenlaternen so viel heller gemacht hatte! Andernfalls hätte selbst Eustache Schwierigkeiten gehabt, dem Mann zu folgen. Misstrauisch wie ein Kaninchen sah Lagrange sich immer wieder um, während er sich auf den Weg zu seinem eigentlichen Ziel machte. Jetzt wurde es spannend.
Wenn Jean-Marc und Eustache erwartet hatten, dass Lagrange sie zu Malpart führen würde, wurden sie enttäuscht. Doch dafür war ihr Erstaunen umso größer, als sie ihr Ziel erreichten. Der Weg war recht weit, längst gab es keine Straßenlaternen mehr. Sie erreichten einen Bereich südlich der Seine von Paris, der vor wenigen Jahren noch ländlich geprägt gewesen war, ehe die schnell wachsende Stadt ihn wie ein Pilz überwuchert hatte. Einigen Gebäuden sah man immer noch ihre frühere Verwendung als Hofstellen an. An einem solchen hielt Lagrange schließlich an und klopfte an eine Pforte neben einem abweisend verschlossenen Hoftor. Sofort schlugen mindestens zwei Hunde an und warfen sich wenige Augenblicke später von innen mit kratzenden Krallen gegen das Hoftor. Eine Stimme brüllte einen harschen Befehl, wiederholte den Befehl in ansteigender Lautstärke mehrfach, bis das Bellen verstummte und die Hunde wohl weggesperrt wurden. Danach dauerte es weitere Minuten, bis jemand die Pforte öffnete. Eustache hatte also viel Zeit, sich in der Dunkelheit dicht genug heranzuschieben, um ein paar Wortfetzen aufzufangen, zumal Lagrange immer lauter wurde.
„Doch, ich bin sicher, dass der Baron mich auch zu dieser Stunde noch empfangen wird. Melde ihm einfach meinen Namen, wird’s bald!“, herrschte er den armen Lakaien an, der offensichtlich hinter der Pforte versuchte, seinen Dienst zu verrichten. Dennoch musste Lagrange noch mehrere Minuten warten, ehe man ihn einließ, was diesem augenscheinlich kein bisschen passte. Immer wieder warf er nervöse Blicke über die Schulter und Eustache hätte ihm am liebsten gesagt, dass es eine schlaue Idee wäre, aus dem Lichtkegel der Laterne an der Tür zur treten, wenn er nicht gesehen werden wollte. Endlich ließ man ihn ein.
„Lagrange besucht den Baron d’Argencourt, sieh an“, sagte Jean-Marc gedämpft hinter Eustaches Schulter. Er hatte nun alle Zeit der Welt gehabt, um aufzuschließen. Eustache war bei dem Besuch bei Aurelies Eltern nicht dabei gewesen, konnte das Haus also nicht wiedererkennen. Jetzt verstand er.
„Ach, das ist ja interessant. Kommen wir da rein, um zu lauschen?“
„Gute Frage – die Hunde klangen groß und aggressiv“, gab Jean-Marc zu Bedenken. Wie alle Pariser war er auf die Begegnung mit Hunden, die größer als das Réticul einer Dame waren, nicht erpicht.
„Was machen wir also?“
„Wenn unser kleines Gespräch mit Lagrange dazu führte, ihn stante pede zu d’Argencourt zu treiben, unternimmt dieser vielleicht daraufhin auch irgendwas. Ich denke, wir sollten mit dem fortfahren, was wir tun: Abwarten und uns dranhängen, sobald jemand diesen Hof verlässt. Das erscheint mir sinnvoller, als uns mit Hunden herumzuschlagen.“
Und so warteten sie. Lagrange blieb nicht lange. Nach weniger als einer halben Stunde kam er wieder heraus. Er schien seine Vorsicht und Nervosität abgelegt zu haben und seine Schultern hingen herab wie bei einem sehr müden Menschen.
„Folgen wir ihm?“, fragte Eustache. Jean-Marc kratzte sich nachdenklich am Kinn, wo die jüngsten Bartstoppeln des Tages sprossen.
„Schwierige Frage. Aber ich glaube, Lagrange hat für heute seinen Auftrag erledigt. Ich fürchte, wir sollten uns auf eine lange, ungemütliche Nacht hier draußen einstellen.“
„Wir müssen doch nicht beide hierbleiben. Ich kann bis morgen früh hier Wache halten und du löst mich dann bei Morgengrauen hier ab.“
„Verlockender Gedanke – aber ich denke, ich bleibe noch bis Mitternacht bei dir. Wenn sich bis dahin nichts getan hat, kann mindestens einer von uns ein paar Stunden schlafen, bis es hell wird. Entweder hat der Baron etwas erfahren, was ihn sofort zum Handeln bringt, oder er wartet ab bis morgen früh“, gab Jean-Marc seine Einschätzung ab. „Vorher sollten wir allerdings herausfinden, wo dieser Hof weitere Eingänge hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das hier der einzige ist. Eustache nickte nur und machte sich auf den Weg, das ehemalige Gut zu umrunden. Hier an der Straße grenzten auf beiden Seiten neue Häuser an. Eustache würde einen Umweg gehen müssen. Jean-Marc schlug seinen Mantelkragen hoch und zog sich in eine Ecke zurück, die ihn zumindest vor dem Wind schützte, ihm aber dennoch freie Sicht auf die Pforte gewährte. Er hing seinen Gedanken nach und ignorierte die Nässe, die einen langsamen, zähen und leider erfolgreichen Kampf gegen das Oberleder seiner Stiefel führte. Merde, er hätte sie längst einfetten müssen.
Eustache kam eine halbe Stunde später zurück.
„Auf der Rückseite gibt es ein weiteres Tor, das auf einen Feldweg mündet. Ich konnte im Dunkeln nicht herausfinden, wohin der führt. Ich glaube jedenfalls nicht, dass jemand dort hinaus geht, wenn er anschließend etwas in der Stadt zu tun hat. Jedenfalls nicht, wenn er sich unbeobachtet glaubt.“
„Dann hoffen wir, dass dem so ist“, meine Jean-Marc sparsam. „Hier ist alles ruhig. Ich schätze, falls der Baron überhaupt etwas zu tun gedenkt, wird er es nicht vor morgen früh tun. Ist es in Ordnung, wenn ich dir hier jetzt das Feld überlasse?“
„Natürlich. Geh heim und leg dich schlafen. Aber bring mir Frühstück mit, wenn du wiederkommst. Wenn ich hier vorher weg muss, hinterlasse ich dir da in an dem Stein eine Nachricht.“ Eustache deutete auf einen entsprechenden in der Mauer, an der sie lehnten. Jean-Marc nickte. Er klopfte Eustache zum Abschied kurz auf die Schulter und machte sich dann auf den unerfreulichen Heimweg. Allerdings längst nicht so unerfreulich wie die Aussicht, hier die ganze Nacht ausharren zu müssen. Aber Eustache schien so etwas nichts auszumachen und Jean-Marc, der nur zwei Jahre älter war als der Kollege, kam sich immer regelrecht greisenhaft neben ihm vor.

 

Rascheln im Rosenbeet.

 

Das letzte Licht des ohnehin grauen Tages vertröpfelte lustlos im heraufziehenden Abend. Falls es einen Mond gab, war er hinter den dichten und irgendwie griesgrämig wirkenden Wolken nicht zu sehen. Puce fror und sie hatte Hunger. Sie hatte praktisch immer Hunger. Vielleicht gab das den Ausschlag, dass sie sich schließlich über die Straße traute und sich dicht neben dem Rosenbusch an die Hauswand von Rue Saint Antoine 6 quetschte. ‚So viele Küchlein wie du tragen kannst‘, das hatte die Frau im Tunnel gesagt. Puce hatte sich bereits überlegt, wie sie aus einem Lumpen einen Beutel drehen könnte, um einen ganzen Armvoll Küchlein tragen zu können! Oh was hätte sie darum gegeben, JETZT auch nur ein einziges zu haben! Oder noch besser: eine heiße Pastete! Als eine Art Rumpeln erklang, dachte Puce erst, dass es ihr Magen wäre. Aber dann erkannte sie, dass es von einem klemmenden Fenster stammte, das irgendwo über ihr geöffnet wurde.
Puce presste sich dicht an die Hauswand. Einerseits wollte sie natürlich von den Hausbewohnern bemerkt werden, um ihre Nachricht abzuliefern – und ihre Belohnung zu bekommen! Andererseits saß ihr misstrauisches Verlangen, sich unbedingt vor solchen Leuten verborgen zu halten, einfach zu tief. Ihr Körper reagierte lange, bevor ihr Kopf eine Entscheidung traf. Sie hörte ein Gewisper von oben und dann eine gebieterische Stimme, die vernehmlich bis zu ihr drang:
„Geht ihr wohl gleich von diesem Fenster weg! Los, los, husch in eure Betten! Monsieur Elian, wenn du nicht sofort folgst, muss ich deine Frau Maman rufen!“
Das schien zu wirken, denn über Puce kehrte Ruhe ein. Sie wagte einen Blick nach oben, konnte aber nicht viel erkennen. Ein wenig Licht fiel nach draußen, fand aber keinen Halt und versickerte im Dunkel der heraufziehenden Herbstnacht. Allmählich wagte Puce wieder zu atmen. Und nun? Es wurde später. Feine Herrschaften gingen häufig noch am Abend aus. Dann wäre die Chance, besagte Madame du Foix anzutreffen wieder vorbei. Aber noch immer traute sich Puce nicht, die entscheidenden Schritte die Treppe zur Eingangstür hinauf zu machen. Zeit verging, die Glocken der Stadtkirchen läuteten achtmal. Dann halb 9. Puce rang immer noch mit sich. Gerade als sie soweit war, ihr Versteck verlassen zu wollen, öffnete sich erneut ein Fenster. Dieses Mal aber nicht weit oben, sondern direkt über ihrem Kopf.
„Psst, so sei doch leise!“, wisperte eine Stimme.
„Ich bin leise! Du bist die, die dauernd reden muss“, versetzte eine andere. Puce erstarrte vor Schreck, denn ihr eigener Kopf befand sich höchstens drei Ellen unter den Stimmen.
„Das Ganze ist eine hirnrissige Idee, wie nur du sie ersinnen kannst!“, schimpfte die erste Stimme so leise, wie überhaupt nur jemand schimpfen konnte.
„Wenn du Angst hast, geh doch wieder ins Bett! Das ist sowieso nichts für Mädchen!“, entgegnete die zweite Stimme, leicht prahlerisch und nicht ganz so leise. Ein Junge, noch nicht sehr alt, schätzte Puce.
„Das ist auch nichts für kleine Jungs wie dich! Und außerdem musst du dich geirrt haben. Da kann auf keinen Fall nochmal ein Mohr im Rosenbeet gewesen sein!“
„Ich habe einen Schatten gesehen! Und dieses Mal lasse ich ihn nicht wieder entwischen!“
Etwas raschelte, dann plumpste direkt neben Puce ein Körper auf den Boden und rempelte gegen sie. Beide unterdrückten einen Schrei.
„Elian, was?“, rief die Mädchenstimme von oben.
„Ich habe ihn! Der Mohr ist hier!“, kreischte Elian, der das Überraschungsmoment rasch überwand, zurück und drosch mit festen kleinen Fäusten auf das ein, was er zwar nicht sehen, sehr wohl jedoch spüren konnte.
„Ich bin kein Mohr!“, wehrte sich Puce und versuchte, die Arme des Jungen zu fassen zu kriegen. Als ihr das nicht gelang, wendete sie einen Straßentrick an: Sie trat dem Jungen die Beine weg. Elian schrie auf.
„Lass meinen Bruder in Ruhe!“, kreischte es von oben. Und dann aus vollem Halse: „Maman, Papa! Hilfe! Der Mohr ist hier. Er bringt Elian um!“
Puce versuchte, wegzurennen, hatte aber den Jungen gehörig unterschätzt. Anstatt einfach weinend liegen zu bleiben, wie sie erwartet hatte, rollte er sich herum und umfasste nun ihre Beine, was sie zu Fall brachte. Sogleich stürzte er sich wieder auf sie wie einer dieser kompakten kleinen Bullenbeißerhunde. Der Junge war erheblich besser ernährt als Puce und obwohl vermutlich nur halb so alt, brachte er annähernd dasselbe Kampfgewicht mit in die Rangelei. Puce wäre wohl trotzdem mit ihm fertig geworden – aber da fiel ein Lichtschein auf sie und irgendwer kam die Eingangstreppe herunter gehastet. Puce versuchte, sich von dem Jungen zu lösen, aber der hing wie eine Klette an ihr.
„Da ist der Mohr, Papa, da am Rosenstock. Er bringt Elian um!“, kreischte erneut die Stimme aus dem Fenster. Eine große Gestalt beugte sich über die kämpfenden Kinder und packte zielsicher mit einer kräftigen Hand nach Puce.
„Weg da, Elian!“, befahl eine Männerstimme.
„Hugo, Vorsicht!“, rief eine Frauenstimme.
„Der Mohr!“, kreischte das Mädchen.
„Ruhe!“, donnerte der Mann und schleuderte Puce an Haaren und Schultern aus dem Beet und in den Lichtschein neben der Treppe. Offensichtlich überraschte den Mann das geringe Gewicht, denn er setzte Puce vergleichsweise sanft ab. Plötzlich trat Ruhe ein.
„Das ist aber kein Mohr“, sagte die Frauenstimme.
„Nicht einmal ein halber“, ergänzte der Mann trocken.
„Kein Mohr?“, fragte die Mädchenstimme vom Fenster enttäuscht.
„Wenn es kein Mohr ist, dann aber ein Teufel!“, sagte der Junge, der sich aufgerappelt hatte. Es wollte mich umbringen!“ Damit trat er Puce von hinten kräftig in die Seite, sodass sie keuchte.
„Elian! Lass das! Geh zu deiner Mutter, sofort!“ sagte der Mann scharf und packte den Jungen mit der freien Hand ziemlich unsanft am Ohr und zog ihn gen Treppe, auf der inzwischen noch mehr Gestalten erschienen waren
„Aua!“, rief der Junge, was mehr empört als schmerzvoll klang.
„Elian, sofort!“, unterstrich die Frau den Befehl und streckte die Hand gebieterisch aus. Schmollend gehorchte der Junge, warf Puce aber mehrfach giftige Blicke zu.
„So, und nun zu dir. Warum lungerst du vor unserem Haus herum?“, verlangte der Mann zu wissen. „Hast du eine Möglichkeit gesucht, hinein zu kommen und uns auszurauben, hm?“ Puce war jetzt völlig erstarrt vor Angst. Sie würden sie schlagen und anschließend der Polizei übergeben, die dann unglaublich grauenhafte Sachen mit ihr anstellen würde. Niemals hätte sie auf die Frau im Tunnel hören und hierher kommen sollen! Der Mann schüttelte sie, wenn auch eher sacht. „Antworte, wird’s bald?“ Aber Puce brachte nur eine Art Krächzen heraus.
„Es war genau da, wo der Mohr war! Wir haben es vom Kinderzimmer aus gesehen!“, krähte der Junge, der nun bei seiner Mutter angekommen war. Die schob ihn ohne weiteren Kommentar zu einer der anderen Gestalten auf der Treppe.
„Bring Elian sofort hinein. Sorg dafür, dass seine Füße warm werden!“ Elian erhob heulenden Protest.
„Aber ich habe es gefunden! Ich will…“
„Genug! Ich will nichts mehr hören. Fort mit dir, Elian! Über deine Bestrafung reden wir später. Bring ihn endlich weg. Wenn du nicht folgst, wird Thomas dich wie einen Sack nach oben tragen, hast du gehört!“
Das kurze Erziehungsgeplänkel verschaffte Puce einen Moment des Atemholens. Leider hatte es den Mann nicht genügend abgelenkt, um seinen Griff zu lockern. Es bestand keine Chance, sich loszureißen und zu entkommen.
„Na schön, wenn du nicht reden willst, dann sperren wir dich im Haus ein und später holt dich dann die Polizei ab“, wendete sich der Mann nun auch prompt wieder an sie.
„Nein!“, schrie Puce auf und die Panik war sofort wieder da. „Nein!“
Flehentlich sah sie die Treppe hinauf aber die Frau war schon zurück ins Haus gegangen.
„Los, los, mach keine Mätzchen. Wir geben dir sogar was zu Essen, wenn du dich brav einsperren lässt“, sagte Hugo grimmig, der nicht zum ersten Mal ein Straßenkind dabei erwischte, wie es versuchte, sein Hab und Gut zu stehlen. Und dieses war genauso mager wie all die anderen auch.
„Thomas, hilf mir mit dem Gör.“
„Monsieur, ich schlage vor, wir bringen sie durch den Kellereingang, damit sie nicht das ganze Haus beschmutzt“, sagte Thomas angewidert.
„Ja, sehr gut. Entriegele die Tür“, stimmte Hugo zu und Thomas beeilte sich, dem nachzukommen – dann musste er sich seine weißen Handschuhe nicht an dem dreckigen Straßengör ruinieren.
Puce unternahm einen letzten Versuch, sich loszureißen und fast wäre es ihr auch gelungen. Aber der Mann hatte lange Arme und erwischte sie sofort wieder. Puce wappnete sich gegen einen Schlag, aber der kam nicht.
„Du verflixte kleine Ratte“, schimpfte der Mann nur. „Nicht noch einmal, hörst du?“
Die Tür, durch die normalerweise vom Brennholz bis zum Blumenkohl alles gebracht wurde, womit ein Haus wie dieses am Laufen blieb, gähnte Puce entgegen wie das Tor zur Hölle. Aber seltsamerweise unterbrach es auch ihre Angststarre, da es sie an den Eingang zu den Tunneln erinnerte. Die Tunnel, in denen die Frau angekettet war. Die Frau, die ihr eine Belohnung und so viele Küchlein wie sie tragen konnte, versprochen hatte. Jäh stemmte Puce die Füße in den Boden und drehte sich so, dass sie ihren Häscher ansehen konnte.
„Ich weiß wo Madame de Tourville ist!“

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