Hintergrundwissen I
In den nächsten Blogbeiträgen erzähle ich euch ein bisschen was von dem, was sozusagen hinter den Kulissen von „Tödliche Reitkunst“ liegt. Das geht von meinen persönlichen Recherchen, Schreibpannen und Schreibsituationen bis hin zu handfestem hippologischen Wissen. Es handelt sich nicht um ein vollständiges Lexikon alles Wissenswertes aus dem Roman, sondern um eine lose Abfolge von Schnipseln, die mir ins Auge springen. Wer besondere Fragen hat, kann sie mir jederzeit per Mail unter info@sandra-will-schreiben.de stellen.
Ich fange einfach mal vorn an.
Im Prolog begegnen wir gleich in der dritten Zeile dem Mops Caramel.
„Henriette Comtesse de Lavauix beobachtete durch die Vorhänge, wie ein Vierspänner in die Kutschenauffahrt des Stadtpalais einfuhr.
„Da kommt er also!“, sagte sie zu ihrem Mops Caramel, der auf der gepolsterten Fensterbank saß und die Geschehnisse mäßig interessiert beobachtete.“
In solch einem harmlosen Satz passieren mehrere Dinge: Ich sehe die Szene nicht nur vor mir, sondern höre den Mops auch leise schnorcheln, fühle praktisch das seidenweiche Fell dieser Tiere und halte im nächsten Moment inne. Wie schreibt sich Caramel auf Französisch? Da gehört doch bestimmt ein verflixter Akzent auf das letzte e, oder? Nachschlagen, nein, ausnahmsweise nicht. Erstaunlich! Dann ein zweites Innehalten. Gab es die Rasse im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts in Europa überhaupt schon? Oh ja! Die ursprünglich in China gezüchteten „Kaiserhunde“ kamen bereits im 16. Jahrhundert mit der Niederländischen Ostindienkompanie zuerst nach Holland und wurden dann sehr schnell zu beliebten Schoßhunden bei der gesamten europäischen Aristokratie. Sie wurden auf vielen Gemälden abgebildet – stimmt, daher hätte ich das durchaus sowieso wissen können! Na Hauptsache, meine Comtesse kann einen Mops haben!
Alles beginnt in der Normandie auf dem Landgut Falabraque, wo die Familie nicht nur Pferde züchtet, sondern auch Äpfel anbaut, um daraus Cidre und Eau de Sydre – was der Vorläufer von Calvados ist – herzustellen.
„Der glückliche Umstand, dass man Apfelbäume auf Pferdekoppeln pflanzen konnte, erschien Philippe als eine geradezu geniale Idee Gottes. Und auf den Geschmack des edlen Apfelbrandes wurden alle Kinder des Hauses Falabraque von klein auf geeicht. Eau de Sydre brannten viele. Der Adel hatte es lange als Bauernschnaps betrachtet. Aber Philippes Großvater Gilles hatte die Herstellung verfeinert und das Ergebnis konnte nun sogar einem guten Armagnac oder Cognac Konkurrenz machen.“
Für Großvater Gilles habe ich den Namen des Mannes geklaut, unter dem es die erste dokumentierte Erwähnung eines normannischen Apfelbrandes gab. Sire Gilles de Gouberville beantragte 1553 eine königliche Konzession zum Brennen eines Eau de Vie de Sydre. Warum sollte das Verfahren also bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts nicht so weit verfeinert worden sein, dass es einen dem heutigen Calvados ähnelnden Edelbrandes entsprach? Ich habe das kurzerhand für den Roman mal unterstellt. „Calvados“ wurde das Getränk allerdings erst ab dem 19. Jahrhundert genannt, da die namensgebende Provinz erst mit der Französischen Revolution entstand. Darum blieb ich im Roman bei der Bezeichnung „Eau de Sydre“.
Die Szene, in der wir zum ersten Mal sowohl den Guérinièrs als auch dem Mörder begegnen, spielt in der Salle du Manège des Tuileries.
„Die Salle du Manège des Tuileries war vor etlichen Jahren eigens für den Reitunterricht des jungen Königs wieder aufgebaut worden – genau an derselben Stelle, an der bereits vor 200 Jahren ein Reithaus für ähnliche Zwecke errichtet worden war. Der gesamte Bau, der auf der Nordseite der jardins des Tuileries stand, war schmucklos, die Salle du Manège selbst kahl.“
Es hat mich zu Anfang einige Mühe gekostet, die verschiedenen Stätten der Reitkunst im barocken Paris zu orten und zu ordnen. Da gab es zum einen Versailles, mit seinen Ècuries, die eine wichtige Rolle spielten. Ferner de la Guérinières private Reitschule in der Rue du Vaugirard, die er bis 1730 dort betrieb, ehe er pleite ging und dann die Leitung eben jener Reitschule in den Tuilerien übertragen bekam. Nachfolgend wird das Reithaus als eine Keimzelle der europäischen Reitkultur bezeichnet. In der Französischen Revolution diente es der verfassungsgebenden Nationalversammlung als Tagungsort und wurde zu diesem Zweck im Inneren umgebaut. Dieses Reithaus gibt es heute leider nicht mehr. Beim Sturm auf die Tuilerien im Oktober 1792 flüchtete sich die Königsfamilie in die Manège unter den Schutz der Nationalversammlung. Im Dezember desselben Jahres fand hier auch der Prozess gegen Louis XVI statt 1803 fiel der Bau dann Napoleons Umgestaltung des gesamten Areals zum Opfer. Heute liegt dort die Rue de Rivoli und nur noch eine Plakette weist darauf hin, wo sich die Salle du Manège einst befunden hat. Ich wollte sie eigentlich bei meinem Besuch in Paris im November 2022 finden, aber da wir zu diesem Zeitpunkt auf der Suche nach meinen Schauplätzen bereits mehr als 12 km durch Paris marschiert und ziemlich erledigt waren, verzichtete ich dann darauf.
Fortsetzung folgt