Was Reiten und Schreiben miteinander zu tun haben
Wie jetzt – das hat Gemeinsamkeiten? Nee ne? Oh doch, ich finde schon!
1. Vorher ist alles ganz toll. Das gilt für den Kauf eines neuen, vielleicht jungen Pferdes ebenso, wie für den Beginn eines neuen Buchprojekts. An diesem Punkt ist alles möglich. Es ist die Zeit für große Träume. Für das Pferd kann das der Traum von vertrauensvollem Miteinander, am liebsten ohne Zaumzeug, praktisch nur durch Gedankenübertragung sein, oder der Traum vom Reiten hoher Turnierklassen, ganz egal – bevor das Pferd auch nur im Stall steht, ist alles drin. Bei einem neuen Romanprojekt ist das genauso. Die Geschichte ist zumindest in groben Zügen in deinem Kopf, großartige Formulierungen sausen an deinen Synapsen vorbei, Kinobilder in 3D beleben deine Figuren und hey, der Showdown, der dir vorschwebt, der ist so großartig!
2. Es dauert lange und immer länger als gedacht. Von der Idee bis zum fertigen Buch ist es ein langer Weg! Und verdammt viel Arbeit! Und es schreibt sich kein bisschen von selbst. Stephen King, befragt, wie er seine Bestseller schreibt, antwortete: „Ein Wort nach dem anderen.“
Mit einem Pferd richtig zusammen zu kommen braucht Zeit. Es auszubilden noch viel mehr. Und auch das dauert meistens länger als vorher gedacht. Und es kostet Zeit, Mühe, Schweiß, Nerven und manchmal sogar Tränen. Dabei lässt sich nichts beschleunigen. Es dauert, solange es dauert.
3. Pferde und Romanfiguren führen ein Eigenleben! Ja, das mag Nicht-Schreiber überraschen, aber Geschichten und die Figuren darin haben ihren eigenen Willen. Sie entwickeln ihre eigene Dynamik, stemmen sich gelegentlich vehement gegen die ihnen zugedachte Richtung, offenbaren Seiten, die einen erstaunen und können unerwartete Dinge tun. Genau wie Pferde. Nur weil ich, siehe 1, vor dem Kauf bestimmte Pläne oder Träume für dieses Pferd hatte heißt das nicht, dass das Pferd die so auch unterschrieben hat! Hohe Dressur? Ach lass mal, zu anstrengend! Bei Zirkuslektionen ist die Keks/Fun/Work Balance doch viel besser! Wanderritte? Hach, ich schlafe aber außer Haus so schlecht und überhaupt ist die Fremde voller Gefahren und da könnte mir der Himmel auf den Kopf fallen. Gemütlich ausreiten und das nur 2 x pro Woche? Stinklangweilig! Das Leben ist zu kurz, um im Paddock zu stehen oder Schritt zu gehen, ich will ACTION!
4. Das Lernen geht immer weiter. Der kürzeste Reiterwitz „Ich kann es!“, gilt genauso für das Schreiben. Wir begeben uns bei beidem auf eine unendliche Reise. Lassen wir es zu, kann sie uns für immer bereichern, begeistern und wachsen lassen. Beides zentriert uns, bringt uns zu unserem Kern. Das ist nicht immer angenehm, ganz sicher nicht bequem, häufig frustrierend, meistens anstrengend und gelegentlich stehen wir vor Sackgassen. Beim Roman werfe ich dann 30, 80 oder sogar 100 Seiten einfach weg, weil sie die Geschichte nicht weiterbringen. Zurück auf Los, neu anfangen. Beim Pferd gehe ich zum zigsten Mal zurück in die Grundlagen, weil ich nur so die Probleme, die eine Lektion, ein Ablauf offenbart hat, beheben kann. Aber die Highlights sind ebenfalls beim Reiten wie beim Schreiben unbeschreiblich. Sie halten uns angefixt, sodass wir immer weitermachen. Und dann ist es einfach wunderbar.