Meine Viecher pfeifen auf artgerecht
„Aber ein Schulpferd ausbilden? Das ist eine Kunst um der Kunst Willen. Wir tun es, um uns selbst oder einen Fürsten zu erhöhen. Und dafür, Anne, nehmen wir dem Pferd alles!“
Das lasse ich François Robichon de la Guérinière zu seiner Tochter Anne sagen, als sie an einem heißen Abend zusammen sitzen und über die Reiterei philosophieren. Er geht natürlich von der Pferdehaltung seiner Zeit aus, durch die seine Reitpferde zu lebenslanger Stallhaft verdammt waren. Heute halten wir unsere Pferde überwiegend „artgerecht“.
Aber Moment: was ist denn eigentlich „artgerecht“? Kann es eine artgerechte Haltung oder gar artgerechtes Reiten überhaupt geben?
Ich sage mal dreist, nein! Die Haltung eines Pferdes und noch viel weniger das Reiten eines Pferdes sind niemals „artgerecht“.
Aber genauso dreist stelle ich die Frage in den Raum, ob „artgerecht“ denn immer die alleinige Messlatte ist!
Die artgerechte Haltung meiner Hündin wäre wohl, sie frei umherstreifen zu lassen und in jedem fall lebt sie natürlich draußen. Artgerecht. Ich kann euch sagen, wer euch da einen Vogel zeigen würde! Meine belgische Schäferhündin Summer pfeift auf artgerecht, wenn es darum geht, sich in kalten Winternächten gemütlich auf der Daunendecke in meinem Bett zusammenzurollen. Sie pfeift auch auf artgerecht, wenn es um das Futter in ihrem Napf geht, das zweimal täglich mundgerecht angereicht wird. Summer weiß nicht mal, was „artgerecht“ ist! Ist ihr auch vollkommen schnuppe, wage ich zu behaupten.
Dito meine Pferde. Artgerecht? Saltimbanco bezieht im Herbst mit großer Wonne seine kuschelige Box mit viel Stroheinstreu und mampft mit Genuss seinen gequetschten Bio-Hafer. Pfirsiche sind ganz sicher nicht artgerecht – aber so lecker! Und Lua hält Fliegenmütze oder Regendecke für durchaus sinnvolle Erfindungen! Artgerechtes Frieren liebt sie überhaupt nicht.
Jetzt zum Reiten: Artgerechtes Reiten gibt es nicht. Aber natürlich gibt es Reiten, welches der Gesunderhaltung, dem Wohlbefinden oder dem seelischen Gleichgewicht eines Pferdes gänzlich zuwiderläuft und solches, das all diese Punkte befördert. Sich in Paddocks zu Tode zu langweilen halte ich übrigens weder für artgerecht noch für angenehm für ein Pferd. Wir kommen also aus dem Dilemma nicht raus: artgerecht geht nicht. Aber gesunderhaltend, angenehm, erfüllend, lebenswert, das geht.
Wenn wir also über Reitweisen diskutieren, suche ich nach diesen Kriterien. Werden Pferde vom Reiten schöner, kräftiger, gesünder, ausgeglichener und geistig wacher, sind wir auf dem richtigen Wege mit unserem Tun. Wenn nicht, dann nicht.
Liebe Grüße und Keks (auch nicht artgerecht)
Sandra