Über die Lust am Erzählen
Wie ihr ja wisst, kann ich keine kurzen Bücher schreiben. Cavendish II wächst und wächst schon wieder und wenn ich nicht bald die Kurve kriege, wird es am Ende auch noch Cavendish III geben.
Treibt man sich, so wie ich inzwischen, in diversen Gruppen für Autoren und solche die es werden wollen herum, lernt man: ein für den heutigen Markt zugeschnittener Konfektions-Roman hat 350 Seiten. Ernsthaft – dafür gibt es Richtlinien und dann wird das wird so hingetrimmt, dass es passt, denn Verlage wollen angeblich oder tatsächlich genau das. Geht es über 400 wird dem Werk bereits die Marktfähigkeit abgesprochen. Ich habe mich neulich böse in die Nesseln gesetzt, als ich in einem solchen Thread, schnodderig wie ich nun mal bin schrieb, dass für mich, wenn ich Leser bin, alles unter 500 Seiten kein Buch sondern eine Broschüre sei. Au weia! Merke: Autoren, selbst wenn sie sogenannte Unterhaltungsliteratur schreiben, verstehen in Bezug auf ihr Tun keinen Spaß! Und „Broschüre“, das ist offenbar sowas wie „Klepper“ oder „Köter“. Ich wurde mit großem Ernst darüber belehrt, dass eine Broschüre ja per Norm schließlich nur xx Seiten habe – ich habe vergessen, wie viele genau. Zudem, was in 350 Seiten nicht gesagt sei, wäre es auch nicht wert, denn in der Kürze liege die Würze und künstliches Aufblähen, nur um Volumen zu schinden, sei nicht erwünscht.
Das machte mich nachdenklich. Ja, ich erzähle gern. Ist das gleichzusetzen mit „künstlich aufblähen?“ Kann schon passieren, stimmt. Doch ich schinde wirklich keine Seiten. Vielmehr füllen die sich unerbittlich wie von selbst und sind zudem ganz offensichtlich Herdentiere. Vielleicht liegt das bei Pferderomanen in der Natur des Sujets? Sollte ich meine Seiten lieber einzeln aufstallen? Ist das artgerecht? Genau betrachtet sind doch auch Bücher Herdentiere. Ein einzelnes Buch im Regal sieht traurig und einsam aus, findet ihr nicht? Dennoch – der Zweifel nagte an mir, ob die schiere Lust am Erzählen mit der Folge, nicht-marktgerecht dicke Bücher zu fabrizieren vielleicht einfach aus der Mode gekommen sein könnte.
Die Rettung kam in Form meines aktuellen Hörbuchs! Gegen Carlos Ruis Zafóns Fabulier- und Erzähllust in „Der Schatten des Windes“ ist die meine geradezu ein Telegrammstil! Allgemein habe ich ja schon immer das Gefühl, dass die Autoren der Halbinsel seit Cervantes im Erzählen geradezu schwelgen. Die Haupthandlung nimmt sich wie eine Miniatur aus, die jemand in einen barocken XXXL-Bilderrahmen gesetzt hat, um eine wirklich große Wand damit zu füllen. Der Rest sind Nebenhandlungen, die wiederum Nebenhandlungen haben. Wer also an stramme 350-Seiten-Krimis gewöhnt ist, die spätestens auf Seite 10 die erste Leiche präsentieren und bis Seite 320 sechs mögliche Mörder, verlieben, verheiraten und porzellanzerschmetternde Scheidung der Kommissarin sowie einen Politskandal unterbringen, dem mag dieses Fabulieren auch mal gelegentlich auf die Nerven gehen. Also mir schon. Und dennoch – welch Opulenz! Welche Sprache! Welch teilweise absurde und dennoch absolut fesselnde Charaktere! Mag ich!
Sorry Leute, ich schreibe weiter dicke Bücher. Meine Wörter dürfen artgerecht in relativer Freiheit und Herdenbildung leben. Nein, ganz so ausschweifend wie Zafón werde ich nicht, versprochen. Doch kurz oder gar marktgerecht kurz, kann ich nicht. Will ich auch nicht. Also legt euch schon mal die Lesebrille für Cavendish II zurecht, besorgt euch einen bequemen Lesesessel und nehmt euch Urlaub für den Herbst.